Eine Kindheit verloren an Boko Haram

Guidadis Geschichte

Die Region im äußersten Norden Kameruns ist zur Heimat vieler Binnenvertriebenen geworden, die aus ihren Dörfern nahe der Grenze zwischen Nigeria und Kamerun fliehen mussten. Einer von ihnen ist der 13-jährige Guidadi, dem Boko Haram beide Eltern genommen hat. Er hat sich mit unserem Partner IEDA Relief zusammengesetzt und erzählt uns seine Geschichte.

„Es ist unmöglich, sich das Leben der Vertriebenen vorzustellen oder es gar zu verstehen, wenn man es nicht selbst erlebt hat – die Hilflosigkeit, die man empfindet, wenn man alles verliert, und obendrein die Ungewissheit über eine bessere Zukunft.“

Während Teenager in diesem Alter eigentlich sorglos sein sollten, war Guidadis Leben alles andere als das, seit er im Alter von dreizehn Jahren das Oberhaupt seiner Familie wurde.

Wie auch andere Kinder in der Region, hatte Guidadi erstmal eine friedliche Kindheit. Er stammt aus einer bescheidenen Familie, hatte aber immer die Wärme eines liebevollen Zuhauses erfahren. Seine Eltern Guidadi David und Bakana erzogen und lehrten ihn die Werte: Solidarität, Entschlossenheit und Verantwortungsbewusstsein.

Der Ausbruch der Gewalt


„Mein Name ist Guidadi Aruna, ich bin dreizehn Jahre alt. Seit November 2020 lebe ich mit meinem Bruder und meiner Schwester in einem neuen Dorf. Davor lebten wir bei unseren beiden Eltern. Das Leben war einfach und ruhig.

„Seit vielen Jahren waren wir immer wieder Angriffen von Boko Haram ausgesetzt, aber wir vertrauten auf die nationalen Streitkräfte, die uns im Falle eines Angriffs verteidigen würden.

„Mein Vater wollte uns nicht der Tortur aussetzen, die viele Familien durchmachen, nämlich in ein anderes Dorf umzuziehen.“

Am Abend des 12. November 2020 wurde das Dorf von Terroristen gestürmt, die mit Waffen anrückten und Terror und Chaos verbreiteten.

Die Leiche meines Vaters lag auf dem Boden, mit durchgeschnittener Kehle und zerrissener Kleidung. Zu diesem Zeitpunkt schlug mein Herz vor lauter Angst wie verrückt. Mein Schmerz und mein Gefühl der Hilflosigkeit waren unbeschreiblich.“

Eine zerschlagene Kindheit


„Es ist ein Tag, den ich eigentlich am liebsten vergessen würde, aber diese schreckliche Erinnerung weigert sich entschieden, aus meinem Gedächtnis zu verschwinden.

An diesem Abend entspannten wir uns um ein großes Lagerfeuer in der Mitte des Hofes. Die Kinder ein wenig abseits von den Erwachsenen, die sich unterhielten und lachten.

„Wie aus dem Nichts hörten wir einen lauten Schrei: ALLAH O AKBAR! Das war das Signal von Boko Haram. Motorradmotoren heulten auf. Sie schossen in die Luft und alle begannen zu rennen. Ich beeilte mich, meine kleinen Brüder einzusammeln. Mein Vater hat mir immer gesagt, dass ich in einer solchen Situation mit meinen Brüdern weglaufen soll, weil kleine Jungen oft von Terrorgruppen rekrutiert werden, die sie zu Kindersoldaten machen. Also floh ich, begleitet von anderen Dorfbewohnern, mit meinen Brüdern in den Wald.

„Während unserer Flucht hoffte ich immer noch, meine Eltern mit den anderen Dorfbewohnern, die sich uns später in kleinen Gruppen anschlossen, ankommen zu sehen. Aber je mehr Zeit verging, desto weniger Hoffnung hatte ich, sie zu sehen. Wir verbrachten zwei Tage im Busch und warteten darauf, dass die Angreifer abzogen. Wir beschlossen, in das Dorf zurückzukehren, um zu sehen, was noch übrig war. Es war eine Katastrophe, ein richtiges Chaos. Unsere kleine Hütte war nur noch ein Haufen Asche.

„Die Leiche meines Vaters lag auf dem Boden, mit durchgeschnittener Kehle und zerrissener Kleidung. Anhand des Armbandes, das er immer ums Handgelenk trug, konnte ich ihn  erkennen. Zu diesem Zeitpunkt schlug mein Herz vor lauter Angst wie verrückt. Mein Schmerz und mein Gefühl der Hilflosigkeit waren unbeschreiblich. Einige der Männer, die bei mir waren, hielten meine Hand und sagten mir, ich solle stark sein.“

Es ist schwer zu sagen, wie wir im Busch überleben konnten; ich glaube, dass allein Gott über uns gewacht hat.

„Nachdem ich endlos nach meiner Mutter gesucht hatte, musste ich feststellen, dass sie von [Boko Haram] gefangen genommen worden war. Es war eine Erleichterung zu wissen, dass sie noch am Leben war, aber ich wollte mir nicht vorstellen, was mit ihr geschehen würde. Wir fanden keine Überlebenden und auch keine verwertbaren Gegenstände.

Wir machten uns also auf den Weg zurück in den Busch, wo uns eine endlose Reise erwartete. Meine Brüder waren noch sehr jung, so dass sie nicht wirklich verstanden, was da gerade passiert war. Es ist schwer zu sagen, wie wir im Busch überleben konnten; ich glaube, dass allein Gott über uns gewacht hat.

Guidadi und die restliche Gruppe Überlebender zogen weiter, bis zu einem Dorf, das Vertriebenen schon seit mehreren Jahren eine Zuflucht bietet. Als sie in dem Dorf ankamen, wurde Guidadi mit der harten Realität konfroniert: Sie hatten keinen Platz zum Schlafen, nichts zu essen und keine materiellen Güter, die sie gegen Lebensmittel hätten eintauschen können.

Er war nun für das Schicksal seiner jüngeren Brüder verantwortlich und diese Verantwortung machte ihm Angst. Denn die Wahrheit ist, das auch er nur ein Kind war.

Hoffnung auf ein neues Leben


Schon wenige Tage nach seiner Ankunft begann der Junge, auf den Märkten als Handlanger zu arbeiten: Er erledigt Botengänge, hütet das Vieh und arbeitet auf dem Feld, so viel er konnte. Dies ermöglicht ihm, von Zeit zu Zeit Lebensmittel zu kaufen. Die Hilfe von ShelterBox und IEDA Relief war eine angenehme Überraschung für ihn.

Die Materialien, die er erhielt, ermöglichten es ihm, die Qualität seiner Unterkunft zu verbessern, und die Werkzeuge, die im Shelter Kit enthalten sind, ermöglichten es ihm, seine Feldarbeiten fortzusetzen.

„Der Wechsel der Umgebung war traumatisch und wir brauchten eine Weile, um uns daran zu gewöhnen. Mein Vater hat mir immer beigebracht, für meine Brüder verantwortlich zu sein, also ist es meine Pflicht, mich um meine direkten Angehörigen zu kümmern.“

„Die Planen sind ein echter Schatz für uns. Meine Erleichterung war groß, als ich merkte, dass ich von all diesen Gegenständen profitieren würde. Am nützlichsten waren die Planen und die Solarlampen. Wir hatten uns daran gewöhnt, nach Einbruch der Dunkelheit ins Bett zu gehen, vor allem, weil es kaum Holz gibt; mit diesen Lampen können wir nachts länger reden und sogar im Dunkeln arbeiten.

„Die Plane ist vor allem wichtig, weil sie es uns ermöglicht, Wasserschäden in der Hütte zu begrenzen. Auch die Decken sind sehr nützlich, denn manchmal wird es richtig kalt, vor allem am späten Abend; so können wir uns warm halten und es vermeiden krank zu werden.“

Trotz der Entbehrungen blickt Guidadi hoffnungsvoll in die Zukunft.

Ich bin jetzt erleichtert, nachdem ich diese Hilfe erhalten habe. Ich würde gerne Vieh züchten und es dann verkaufen, um unsere Ausbildung zu finanzieren. Unsere Eltern wollten, dass wir einen Abschluss machen und später eine anständige Arbeit haben, also möchte ich dieses Ziel erreichen. Ich weiß, dass es schwierig und in diesem Jahr sogar unmöglich sein wird, aber ich werde hart kämpfen und mein Bestes geben, um es in den nächsten Jahren zu schaffen“.

 

Guidadis Erfahrung ist eine von vielen Geschichten des Grauens, die Boko Haram verursacht hat. Indem Sie unsere Arbeit unterstützen, helfen Sie uns, mehr Menschen wie Guidadi in Kamerun und überall auf der Welt zu erreichen.

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