Entwicklungsländer oder Dritte-Welt-Staaten. Diese Begriffe hat jeder schon häufiger gehört. Und gerade in einer Organisation wie ShelterBox, die humanitäre Hilfe leistet, sind sie allgegenwärtig. Doch was bedeutet das eigentlich? Wo ist der Unterschied zwischen Entwicklungsländern, Schwellenländern und Industrieländern? Wie wird Entwicklung gemessen und woher kommt der Begriff „Dritte Welt“?
Keine allgemeingültige Definition für Entwicklungsländer
Für den Begriff Entwicklungsland gibt es keine einheitliche Definition. Laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit teilen die meisten „Entwicklungsländer“ jedoch gemeinsame Merkmale, wie:
- eine schlechte Nahrungsmittelversorgung, also Hunger
- ein niedriges Pro-Kopf-Einkommen, also Armut
- keine oder nur mangelhafte Gesundheitsversorgung, also eine hohe Kindersterblichkeitsrate und eine geringe Lebenserwartung
- Mangelhafte Bildungsmöglichkeiten, eine hohe Analphabetenquote
- Hohe Arbeitslosigkeit, ein insgesamt niedriger Lebensstandard, eine oft extrem ungleiche Verteilung der vorhandenen Güter
Beispiele sind hier vor allem Länder der Südhalbkugel, mehrheitlich in Afrika befindlich wie Tansania, Äthiopien, Somalia, Nigeria, Niger, oder der Tschad. Aber auch auf anderen Kontinenten sind sie zu finden, wie etwa Haiti, Nepal, Syrien, Afghanistan oder Bangladesch. (Quelle: BMZ)
Die Menschen in Entwicklungsländern sind aufgrund der oft mangelhaften Gesundheitsversorgung besonders durch das Coronavirus bedroht. Das Foto entstand bei der Verteilung von ShelterBox Hilfsgütern in Äthiopien im Juni 2020.
Entwicklungsländer stehen im Gegensatz zu Industrieländern, deren Wirtschaft von einer starken Industrie geprägt ist. Diese verfügen in der Regel über ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, einen hohen Technologiestandard, eine hohe Produktivität, sowie ein hohes Bildungsniveau.
Typische Beispiele sind die meisten Mitgliedsstaaten der OECD, also die meisten europäischen Länder wie Deutschland, Schweiz, Norwegen, oder das vereinigte Königreich. Genauso zählen auch die vereinigten Staaten, Kanada oder Japan dazu. (Quelle: BPB)
Dazwischen befinden sich die sogenannten Schwellenländer. Dabei handelt es sich um relativ fortgeschrittene Entwicklungsländer, die starke Fortschritte in der Industrialisierung gemacht haben und in ihrem Entwicklungsstand im Vergleich zu Industrienationen deutlich aufgeholt haben. Die eindeutige Abgrenzung zu Entwicklungsländern und Industrienationen stellt sich hier allerdings als relativ schwierig heraus.
Beispielhaft hierfür sind viele lateinamerikanische Staaten wie Brasilien oder Mexiko, aber auch Südafrika, Serbien und Indien. (Quelle: BPB)
Der Zyklon Amphan zerstörte im Mai 2020 1,7 Millionen Häuser allein in Indien. ShelterBox unterstützt die Menschen vor Ort mit Hilfsgütern.
Wie kann Entwicklung gemessen werden?
Obwohl es bei einigen Staaten recht einfach erscheint, sie einer der drei Gruppen zuzuordnen, ist es schwierig, alle Staaten klar voneinander zu trennen. Wann ist ein Staat denn noch ein Entwicklungsland und ab wann zählt er schon als Schwellenland? Wie oben bereits erläutert sind diese Grenzen nicht immer trennscharf. Außerdem ist der Begriff Entwicklung nicht nur im wirtschaftlichen Sinn zu sehen. Die Weltbank unterscheidet etwa zwischen Ländern mit niedrigem Einkommen, Ländern mit mittlerem Einkommen und Ländern mit hohem Einkommen. Dies macht sie rein am Bruttoinlandseinkommen pro Kopf fest. Eine solche Einteilung der Länder wird der vollen Dimension des Begriffs Entwicklung jedoch nicht gerecht, da er eben nicht nur wirtschaftliche Aspekte beschreibt. Um genau dieses Problem zu bewältigen entwickelten die Vereinten Nationen vor genau 30 Jahren den sogenannten „Human Development Index“.
Der Human Development Index (HDI)
Er soll eine Messzahl für den Entwicklungsstand eines Landes darstellen. Dazu erfasst er:
- Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf,
- Die Lebenserwartung bei der Geburt,
- Die Alphabetisierung der erwachsenen Bevölkerung, sowie
- Die Einschulungsrate in Grund-, Sekundär- und Hochschulen
In dem vom UNDP (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen) jährlich herausgegebenen Human Development Report, der die jeweiligen Zahlen zu allen Ländern enthält, werden zusätzlich auch noch weitere Daten aus dem ökonomischen, sozialen und politischen Bereich veröffentlicht.
Der HDI kann nur Werte zwischen 0 und 1 annehmen, wobei 1 als größtmöglich entwickelt und 0 als am wenigsten möglich entwickelt gilt. Auf Platz 1 lag im Jahr 2019 Norwegen mit einem HDI-Wert von 0,954, gefolgt von der Schweiz (0,946), Irland (0,942) und Deutschland zusammen mit Hong Kong auf Platz 4 (0,939). Die Schlusslichter bildeten auf den Rängen 186, 187, 188 und 189 Südsudan (0,413), der Tschad (0,401), die zentralafrikanische Republik (0,381) und Niger (0,377).
In der Regel werden Staaten mit einem HDI-Wert bis 0,5 als Entwicklungsland gezählt. Staaten mit einem Wert über 0,8 zählen als Industrieländer und die dazwischen als Schwellenländer. (Quelle: UNDP)
Salamatou musste ihr Zuhause im Tschad zusammen mit ihren fünf Kindern wegen anhaltender Gewalt durch Boko Haram verlassen. Sie erhielten im Flüchtlingscamp Unterstützung von ShelterBox. (2018)
Erste, Zweite und Dritte Welt?
Der Begriff Dritte Welt-Staaten wird zwar heute meist mit den Entwicklungsländern gleichgesetzt, hat jedoch einen anderen historischen Ursprung:
Er geht auf das Jahr 1949 zurück und ist eng verknüpft mit der Vorstellung eines dritten Weges neben Kapitalismus (also „Erster Weg“) und Sozialismus (also „Zweiter Weg“). Die „Dritte-Welt-Staaten“ zeichneten sich also durch ihre Blockfreiheit in dem sich damals ausbreitenden Ost-West-Konflikt aus. Der Begriff war also keineswegs wertend gemeint, in dem Sinne, dass die „Dritte Welt“ weniger wert wäre als die „Erste“ oder „Zweite Welt“.
Damit beschrieb der Begriff in den 1950er Jahren hauptsächlich Länder in Afrika und Asien, die tatsächlich versuchten diesen „dritten Weg“ zu beschreiten. Erst später, mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes wurde er dann auf alle Entwicklungsländer ausgeweitet, also auch die Staaten Lateinamerikas und der Karibik. Da man sich dann jedoch mit der starken Heterogenität, also Unterschiedlichkeit dieser Staaten konfrontiert sah und den Begriff darum kaum für einheitliche Theorien verwenden konnte, wurde in den 1990er Jahren die These des „Endes der Dritten Welt“ ausgelöst. Heutzutage wird der Begriff zwar noch verwendet, ist von der Bedeutung jedoch gleichzusetzen mit dem der Entwicklungsländer. (Quelle: Nohlen D., Grotz F. (Hrsg.), 2015, Kleines Lexikon der Politik)
Warum gibt es solche großen Unterschiede zwischen den Staaten?
Was genau ein Entwicklungsland ist, und wie man das messen kann ist jetzt zwar etwas klarer, doch die entscheidende Frage ist doch eigentlich: Wie kommt es dazu, dass einige Staaten so viel weniger entwickelt sind als andere?
In der Regel unterscheidet man zwischen drei verschiedenen Ursachengruppen: Natürliche Gegebenheiten, Innere Ursachen und äußere Ursachen.
Natürliche Gegebenheiten:
Diese Ursachengruppe wird von der Geodeterminismus-Theorie als Hauptursache für Entwicklungsdefizite gesehen. Sie geht davon aus, dass die natürliche Ausstattung hauptsächlich die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung in den verschiedenen Teilen der Welt bestimmt. Demnach weisen Staaten, die schlechtere natürliche Gegebenheiten haben, auch eine schlechtere Entwicklung auf. Solche natürlichen Gegebenheiten sind:
- Rohstoffmangel (etwa Bodenschätze wie Erdöl, -gas oder Kohlevorkommen)
- Ungünstige klimatische Bedingungen (etwa Lage in einer Wüstenregion mit starker und langer Trockenheit)
- Hohe Wahrscheinlichkeit für Naturkatastrophen (besonders gefährdete Länder für Erdbeben, Tsunamis, Wirbelstürme oder Vulkanausbrüche)
Auf Haiti ereignete sich im Jahr 2010 ein sehr schweres Erdbeben. Doch das Land ist auch von anderen Katastrophen bedroht. Auf dem Bild sieht man die Zerstörung durch den Hurrican Matthew im Jahr 2017.
Innere Ursachen
Eine zweite wichtige Ursachengruppe bezeichnet innere Ursachen, also solche, die auf das menschliche Verhalten der Gesellschaft zurückzuführen sind. Ein Beispiel für solche inneren Ursachen ist etwa eine sehr hohe Geburtenrate und damit ein starker Bevölkerungszuwachs. Dieser kann dazu führen, dass trotz steigendem Wohlstand, also einem höheren BIP eines Landes der reale Zuwachs jedes Einzelnen (BIP pro Kopf) nicht so hoch ausfällt. In diese Ursachengruppe gehören aber auch kulturelle Rahmenbedingungen. Eine umstrittene Theorie aus diesem Bereich ist die Modernisierungstheorie, die besagt, dass in bestimmten Religionen oder Kulturkreise andere Wertmaßstäbe gelten, wodurch andere Güter wie beispielsweise Freizeit einen höheren Stellenwert einnehmen als materielle Güter.
Äußere Ursachen
Die dritte Ursachengruppe beschreibt äußere Ursachen, also Umstände, die nicht im Land selbst, sondern im internationalen System zu finden sind. Dabei werden vor allem folgende Faktoren berücksichtigt:
- Kolonialismus: Diese Theorie besagt, dass viele der heutigen Industrieländer sich auf Kosten der ehemaligen Kolonien (und heute häufig Entwicklungsländer) entwickelt haben. Davon wirken die Nachteile für die ehemaligen Kolonien bis heute nach, wie etwa Monokulturen und willkürliche Grenzziehungen
- Außenwirtschaftliche Ausbeutung: Diese Theorie ist eng mit der Kolonialismus-Theorie verknüpft, da die Wurzeln dieser Ausbeutung häufig auf den Kolonialismus zurückgeführt werden können. Dennoch wird hier der Schwerpunkt auf die heutigen Verhältnisse gelegt. Diese umfassen beispielsweise Strukturen, die dazu führen, dass Entwicklungsländer hauptsächlich Rohstoffe exportieren, welche dann in den Industrieländern weiterverarbeitet werden um sie dann mit einer höheren Gewinnspanne weiterzuverkaufen. Dadurch kommt es zu einem ungleichen Warenaustauschverhältnis zu Lasten der Entwicklungsländer
- Strukturelle Abhängigkeit: Die sogenannte Dependenztheorie hängt auch mit den beiden oberen Theorien zusammen. Sie besagt, dass die ehemaligen Kolonien auch nach ihrer politischen Unabhängigkeit in ein System eingebunden wurden, welches davon geprägt ist, dass diese Länder strukturell abhängig von den Industrieländern bleiben. Dies geschehe aber nicht nur im ökonomischen, sondern auch im kulturellen Aspekt.
Der Klimawandel als zusätzlicher Faktor
Auch der Klimawandel ist bei dieser Thematik nicht zu vernachlässigen. Es sind die Industrieländer, die während der Industrialisierung enorme Mengen an CO2 ausgestoßen haben und damit ihren heutigen Lebensstandard erreicht haben. Dieser Lebensstandard führt jedoch zu einem erheblich höheren pro-Kopf-Ausstoß an CO2 als in den Entwicklungsländern. Während es also die Industriestaaten sind, die den größten Anteil am Klimawandel haben, sind es die Entwicklungs- und Schwellenländer, die am meisten darunter leiden. Die Entwicklungsländer im globalen Süden sind es, die mit zunehmenden Extremwetterereignissen wie Dürren, Missernten, Überschwemmungen und Wirbelstürmen zu kämpfen haben. Das summiert sich zu den obigen bereits genannten Ursachen der Unterentwicklung und führt zu einer weiteren Erschwerung der Entwicklung dieser Länder.
Im Jahr 2020 war ShelterBox drei Mal auf den Philippinen im Einsatz. Nach dem Ausbruch des Taal-Vulkans, nach dem Taifun Vongfong (Von diesem Einsatz stammt das Bild) und nach dem Taifun Goni.
Meist mehrere Ursachen auf einmal
All diese Theorien zeigen spezifische Ursachen für die Unterentwicklung eines Landes auf, doch in der Regel trifft selten genau eine davon zu. Bei den meisten Ländern handelt es sich um verschiedene Ursachen gleichzeitig, die in ihrer Mischung dazu führen, dass ein Land sich nicht so nachhaltig und gut entwickelt, wie es unter anderen Umständen denkbar wäre.
Nimmt man zum Beispiel einmal die Philippinen als Beispiel: Mit einem HDI-Wert von 0.712 lag es im Jahr 2019 auf Rang 106 im Human-Development-Report und kann relativ eindeutig den sogenannten Schwellenländern zugeordnet werden. Der südliche Teil des Landes hängt stark vom Reisanbau, also dem Export von Rohstoffen ab. Der nördliche Teil hingegen ist mittlerweile geprägt von viel exportorientierter Industrie. Es werden vor allem Elektronik, Maschinen, sowie Transportmittel produziert und exportiert. Nicht zuletzt dies führt zu einem stetigen Wirtschaftswachstum, was den Inselstaat zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt macht. Dennoch wird das Land in seiner Entwicklung immer wieder zurückgeworfen, da es stark von verschiedenen Naturkatastrophen bedroht wird. Neben Zyklonen führen auch regelmäßige Erdbeben und Vulkanausbrüche dazu, dass ShelterBox in den vergangenen Jahren im Durchschnitt zwei Mal pro Jahr auf den Philippinen im Einsatz war.
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